Sunday, December 11, 2005

Ansichtssache


Dies ist natuerlich old news, dennoch: das, was als die pornographische Aesthetik bezeichnet wird, hat auch in meinem Umfeld leider Eingang in den Alltag gefunden: vor wenigen Wochen musste ich eine Praktikantin auf Dauer heimschicken, die immerzu vollkommen unpassend gekleidet ankam. Inzwischen gibt es wohl nur noch mehr zu niedrig geschnittene Jeans und zu kurze Leibchen-T-Shirts, und das Set wird wohl komplett mit Nabelpiercing und Abziehtattoo verkauft; die Viagra-, Vergroesserungs-, und Bildchen-Spams muessen gar nicht erwaehnt werden; und Vorabendserien scheinen nunmehr zum grossen Teil aus Zweideutigkeiten bestehen, die in ihrer Schalheit und Niedrigkeit kaum mehr zu ueberbieten sind - man tut gut daran, sein Kabel abzubestellen; Las Vegas hat sich auch vom Bemuehen der Neunziger Jahre, familienfreundlich zu erscheinen, komplett verabschiedet - neues Motto: what happens in Vegas, stays in Vegas.

Was mich nur immer wieder erstaunt, ist, wie sehr auch Frauen - und gerade die juengeren - diesen Tenor mitaufgreifen, als waere es eine Mischung aus Gleichberechtigung und einer Art neuen hedonistisch gepraegten Fun-Femininismus. In diesem Zusammenhang fand ich interessanterweise ein Zitat aus den Siebzigern, welches nihilistisch ambivalent alles gewaehren lassen moechte:

"A number of art historians and others have argued that explicit sexual material is worthy of the same considerations given other aesthetic forms. This position ranges from the view that pornography should be studied in the same way we approach nude paintings and sculptures of a different era to the position that pornography should be accepted without any moral evaluation as an important area of popular culture." -Gina Marchetti: An annotated working bibliography on women and pornography

Dem Gegenueber steht:

Pornographie besteht darin, tatsächliche oder vorgetäuschte geschlechtliche Akte vorsätzlich aus der Intimität der Partner herauszunehmen, um sie Dritten vorzuzeigen. (...) Sie verletzt die Würde aller Beteiligten (Schauspieler, Händler, Publikum) schwer; diese werden nämlich zum Gegenstand eines primitiven Vergnügens... Pornographie versetzt alle Beteiligten in eine Scheinwelt. Sie ist eine schwere Verfehlung. Die Staatsgewalt hat die Herstellung und Verbreitung pornographischer Materialien zu verhindern.
-Katechismus, Absatz 2358



Zum Glueck sagt immerhin Susan Sontag, Feministin erster Stunde: "There still remains a sizeable minority of people who object to or are repelled by pornography not because they think it's dirty but because they know that pornography can be a crutch for the psychologically deformed and a brutalization of the morally innocent. I feel an aversion to pornography for those reasons, too, and am uncomfortable about the consequences of its increasing availability."

Andererseits ist das eine nette, heimilige Interpretation der Dinge: welche Staatsgewalt sollte die Verbreitung irgendwelcher Materialien noch effektiv unterbinden koennen - und mit welchen Kriterien, die nicht wieder in Zweifel gezogen werden und neu diskutiert werden koennen? Und im Sinne von R. Zacharias: heutzutage gibt es nicht so abartiges, als dass man nicht einen Professor dafuer findet, der es rechtfertigen kann.

Eher mutet es an, dass die "sizeable minority" Andersdenkender kleiner und kleiner wird, wie bei Ionesco's "Die Nashoerner" wird diese Minoritaet immer kleiner, und es wuenschen sich die Meisten, ebenfalls so herrlich gruen zu sein und hemmungslos durch die Welt zu galoppieren.

Meine These: die Wenigen, die Denkenenden sind nicht aus moralischer Entruestung gegen die Erscheinungsformen kultureller Dekadenz, sondern weil tatsaechlich - wie bei Ionesco - immer weniger Zivilisationsmenschen uebrig bleiben.

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